Foodpairing: Geschickt kombiniert ist besser gegessen

Foodpairing: Geschickt kombiniert ist besser gegessen

Christine Brugger ist wissenschaftliche Beraterin im Bereich Sensorik. Sie gibt ihr breites Wissen in internationalen Fachartikeln und Interviews, der sensorischen Aus- und Weiterbildung von Lebensmittelherstellern sowie in massgeschneiderten Sensorikseminaren weiter. Für das  Betty Bossi Buch «Gemüselust» hat die Ernährungswissenschaftlerin ein Aromarad entwickelt und für die 20 beliebtesten Gemüsesorten passende Kräuter- und Gewürzkombinationen analysiert. Wie sie vorgegangen ist und was die grössten Herausforderungen waren, erzählt sie im Interview.

Überall hört und liest man von Foodpairing, doch was ist denn das genau?
Christine Brugger: Die Idee von Foodpairing ist, die Aromen von Gemüse oder Früchten zu intensivieren, zu verlängern, oder auch, wenn etwas einen sehr starken Eigengeschmack hat, zu harmonisieren oder gar zu maskieren. Ich persönlich kombiniere am liebsten auf aromatischer Augenhöhe. Mein Ziel ist es dabei, ergänzend zu arbeiten, also die Herzaromen von Gemüse oder Früchten herauszuarbeiten, auszubalancieren und zu verlängern.

 

Für das neue Betty Bossi Buch «Gemüselust» hast Sie du Aromarad entwickelt. Was genau darf man sich darunter vorstellen?
CB: Als Basis haben wir die 20 beliebtesten und bekanntesten Gemüsesorten genommen. Das Ziel war, für jedes Gemüse passende Kräuter- und Gewürzkombinationen – mal klassisch, mal inspirierend – zu finden.  Jedes Gemüse wurde zuerst roh und dann gedünstet verkostet. Dafür habe ich jeweils ein Sensorikprofil erstellt. Der nächste Schritt war, mir Gedanken zu machen, welche Gewürz- und Kräuterkombinationen passend sein könnten. Die Kombinationen sollten für das Gemüse im rohen als auch im gekochten Zustand funktionieren.

 

Haben diese theoretischen Kombinationen auch in der Praxis funktioniert?
CB: Nein, das ist genau die Herausforderung. Auch wenn man ein Gemüse kennt und schon mehrfach verkostet hat, muss man es immer wieder neu kennenlernen. Etwa 30 Prozent der gedachten Kombinationen funktionieren auch in der Praxis. Und natürlich müssen die Tests über mehrere Tage verteilt werden, damit die Riechzellen und Geschmacksknospen nicht ermüden.

 

Ist es schwieriger, für ein intensives oder für ein fades Gemüse einen Foodpairing-Partner zu finden?
CB: Je mehr Aroma ein Gemüse hat, je intensiver und vielschichtiger es ist, desto schwieriger ist es, eine gute Kombination zu finden. Eine Tomate kann vielschichtig sein. Viele Aromen entwickeln sich erst nach einiger Zeit. Daher ist es natürlich aufwendiger, hier die richtigen Kombinationen zu finden, vor allem wenn es um Kombinationen geht, die nicht klassisch sind, wie beispielsweise Tomate mit Basilikum. Aber es lohnt sich, diese neuen Kombinationen zu suchen.

 

Was war die grösste Knacknuss?
CB: Das war schlussendlich die Gurke. Eine Gurke ist grün, wachsig und melonig im Aroma. Ich dachte, sie lässt sich gut mit Borretsch kombinieren. Gurke und Borretsch passen denn auch zusammen, die Aromen sind harmonisch, aber sie sind sensorisch langweilig. Die Aromen haben sich quasi gegenseitig aufgehoben. Das Gegenteil passierte, als ich Gurke mit Sauerampfer kombiniert habe. Ich dachte, der Geschmack der Gurke würde intensiviert, aber die Säure des Sauerampfers wirkte kontraproduktiv und hat die frischen, wachsigen Aromen der Gurke komplett maskiert.

 

Und wann hattest du das grösste Aha-Erlebnis?
CB: Ich bin begeistert von der Kombination Rhabarber und Sauerampfer. Das harmoniert einfach toll. Ich dachte, dass die Säure am Gaumen explodieren würde, da sowohl der Rhabarber als auch der Sauerampfer bekanntermassen viel Säure haben. Die Kombination hat sich allerdings ganz positiv entwickelt. Sauerampfer hat das frische Rhabarberaroma unglaublich intensiviert. Was auch gut passt, ist Majoran und Rhabarber. Hier nimmt der Rhabarber eine eher süssliche Note an, die Säure wird reduziert, und die Fruchtigkeit des Rhabarbers wird hervorgehoben, auch das hat mir sehr gut gefallen. Ebenfalls interessant finde ich die Kombination von Auberginen und Koriandersamen, die eine leichte Blumigkeit und Süsse mitbringen und so das leicht bittere der Aubergine ausgleichen.

 

Kann es sein, dass jemand, der beispielsweise keinen Fenchel mag, dank geschicktem Würzen plötzlich Fenchel isst?
CB: Ja, genau das ist das Ziel von Foodpairing. Ich kombiniere beispielsweise Fenchel gerne mit Zitrusnoten, so kommen zwei sehr intensive Aromengruppen zusammen. Mit dem Zitrusaroma wird der Fenchel leicht maskiert, aber nicht überdeckt. Das ist mir sehr wichtig, weil ich einen Geschmack ja nicht verdecken, sondern lediglich etwas seine Intensität reduzieren möchte. Ich habe in meinen Seminaren Teilnehmer erlebt, die auf diese Weise plötzlich Fenchel genossen haben. Ebenfalls spannend ist es, Kohlrabi mit Vanille zu kombinieren. Kohlrabi hat viel Schwefelaroma, wenn man ihn kocht, riecht er sehr intensiv. Vanille hilft sowohl diesen starken Duft als auch den leicht bitteren Geschmack etwas zu maskieren.

Wird Fenchel mit Zitrusnoten kombiniert, wird das intensive Fenchelaroma leicht maskiert.
Wird Fenchel mit Zitrusnoten kombiniert, wird das intensive Fenchelaroma leicht maskiert.

Rezepte zum Ausprobieren

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Das ist gut zu wissen. Wenn ich also keinen Kohlrabi mag, sollte ich einfach immer genügend Vanilleschoten zur Hand haben und dann schmeckt mir das Essen?
CB: Auf keinen Fall. Die Dosierung ist sehr wichtig beim Foodpairing. Auch hier gilt: Mehr ist nicht immer besser. Im Gegenteil! Wenn ich beispielsweise mein Kohlgericht zu stark mit Vanille würze, werde ich nicht das gewünschte Resultat erreichen. Experimentieren ist immer gut, aber die Würze sollte dosiert eingesetzt werden. Als Richtmenge gilt ½ bis 1 Teelöffel bei Gewürzen für ca. 500 g Gemüse. Gerade Vanille kann beispielsweise bitter werden, wenn ich es zu hoch dosiere.

 

Wie kann ich selber meine Sinne schulen und Foodpairing ausprobieren?
CB: Man fängt man am besten mit einfachen Übungen an: Wie schmeckt Gemüse roh, was verändert sich beim Kochen, Dünsten oder Braten? Blindverkostungen mit Freunden oder Kindern machen Freude: Es ist spannend, sich gemeinsam auf das Riechen und Schmecken zu konzentrieren und sich darüber auszutauschen. Grundsätzlich ist es wichtig, sich bewusst mit den Lebensmitteln und deren Eigenschaften zu befassen und immer wieder Neues auszuprobieren. Wer seine Sinne vertieft schulen und mehr wissen möchte, kann sich in diesem Bereich auch weiterbilden und ein Seminar zum Thema Sensorik besuchen.

Alles über die Arbeit von Christine Brugger erfährst du auf ihrer Website.

Interview: Christine Signer
Aktualisiert 27. Dezember 2021